Obwohl die Ahnen der Familien Chokitemas, Lixentras und Chrytiphailas aus Gyres stammten, waren sie nach vier Generationen kaum noch von ihren anderen, alteingesessenen Mitbürgern zu unterscheiden. Ihre Ahnen waren einst auf Einladung des arrischen Königs gekommen, als die Sarkleute in Gyres für einen Ausbruch von Pest und Verderbnis verantwortlich gemacht und des Landes verwiesen wurden.
Im beschaulichen Gipras fanden sie eine neue Heimat. Kulbeladas Chokitemas, Ilsabon Lixentras und Mirabon Chrytiphailas waren Fremde, die der Tradition der Sarkleute nach schwarze Tuniken trugen und mit ihren Familien in hölzernen Wagen wohnten. Ihre Sprache war nicht nur Mauretinisch und somit schon exotisch für die ländlichen Gipresen, sondern noch mit alten Sanutischen Wörtern durchsetzt, die gänzlich unverständlich waren. Doch sie waren geschickte Handwerker und die bäuerlichen Gipresen lernten bald ihre Tische, Schränke, Stühle und Truhen zu schätzen. Obwohl die Sarkleute nicht mit den anderen im Tempel zu Asiranas beteten, feierte man gemeinsam auf dem Dorfplatz und bald schon, waren die Sarkleute akzeptierte Einwohner. In der nächsten Generation heiratete zwar nur Kaisatake Lixentras einen Gipresen, was sowohl von den Dörflern als auch den Sarkleuten zwar geduldet, aber doch nicht wirklich akzeptiert wurde; doch in der dann folgenden Generation verheirateten sich die Kinder der Sarkleute ohne irgendein einen Argwohn einer Seite mit anderen Gipresen. Sie begannen die großen Feste der Asiranisten zu feiern und gaben ihren Kindern arrische Namen. Dann, in der vierten Generation, konnte man sie der Kleidung oder Benehmen nach eigentlich nicht mehr von anderen Gipresen unterscheiden, von dem ein oder anderen sanutischen Wort einmal abgesehen, dass ihnen entfleuchte – aber die Flüche und Schimpfworte der Sarkleute waren auch von den Gipresen selbst schon angenommen worden. Als erfolgreiche Handwerker wohnten sie schon lange nicht mehr in hölzernen Wagen, sondern hatten sich in festen Häusern niedergelassen, gebaut wie die der Nachbarn. Dass es sich bei den Chokitemas, Lixentras und Chrytiphailas noch um Sarkleute handelte, bekam nur mit, wer sie einmal im Jahr mit zerzaustem Haar und Asche auf dem Haupt um Sanot trauern sah oder ihren Toten ein kleines Wagenrad mit auf den Scheiterhaufen gaben.
Als in Pellas Iphitas zum König gekrönt wurde und Gesetze erließ, die die Sarkleute auf eine Stufe mit den Verderbten stellten, änderte das für die Chokitemas, Lixentras und Chrytiphailas in Gipras erst einmal gar nichts, denn niemad im Ort hielt sie noch für Sarkleute, warum also diese Gesetze anwenden. Doch als dann in Nepron ein neuer Fürst auf den Thron stieg, begannen dessen Beamte alle Akten zu sichten und bald schon kamen Vertreter des Fürsten nach Gipras und verlangten von den drei Familien das Wagenrad auf ihre Kleidung zu nähen und ihre Besitztümer aufzulisten, damit sie vom Fürsten konfisziert werden konnten. Sie gaben ihnen eine Frist von drei Tagen und gingen zurück nach Nepron. Als sie wiederkehrten waren alle eintausenddreihundertfünf Einwohner von Gipras auf dem Marktplatz versammelt. Sie alle trugen das Wagenrad auf ihrer Kleidung und sie alle hielten den Beamten Listen mit ihrem Besitz entgegen.
Die Beamten waren entrüstet und verwirrt, sie zogen fort und kehrten mit einer Truppe des Fürsten zurück. Doch als sie ankamen, fanden sie Gipras verlassen vor. Auf jede Haustür war ein Wagenrad gemalt. Wie sie herausfanden, waren die Gipresen allesamt aufgebrochen und zogen mit ihrem Wagentross durch Nerphea. In jedem Ort, an dem sie halt machten, erzählten sie die Geschichte von der Ungerechtigkeit des Fürsten. Bald trugen die meisten Bürger Nerpheas das Wagenrad auf ihrer Kleidung und das Wagenrad wehte auf den Bannern. Immer, wenn Truppen des Fürsten auf dem Weg waren, zogen ganze Ortschaften aus. Nicht einmal kam es zu einer Schlacht, obwohl der Fürst die Wagenrädler als Aufständische verstand. Es dauerte nicht lange, da drohte die Wirtschaft von Nerphea zusammenzubrechen, denn die wandernden Wagenrädler bestellten keine Felder mehr und arbeiteten nicht mehr in den Minen. Als der Fürst den König um Hilfe bat, soll dieser so amüsiert gewesen sein, dass er stundenlang lachte. Es heißt, er habe seinen Fehler erkannt und alle Gesetze gegen die Sarkleute aufgehoben, doch wir wissen, dass dies mehr aus Berechnung geschah.
Dennoch: Heute ist das Wagenrad kein Zeichen der Unterdrückung mehr, sondern eines der Freundschaft – und das Wappen von Nerphea! Asiranides Chrytiphailas, ein Nachfahre des Sarkmanns Mirabon wurde 1674 sogar selbst zum Fürsten von Nerphea und sein Sohn Kyrenas 1703 Kanzler des Arrischen Königreiches.