Die älteste Tradition der Komik

(Liphas Phor: Eine kurze Geschichte des Witzes (1972) - Kapitel 1: Die älteste Tradition der Komik)

Die Berichte, Zahlen und Karten über die großen Schlachten und Kriege, den Aufstieg und Fall großer Reiche oder die Entwicklung von Technologie und Magietheorie, die wir in unseren Geschichtsbüchern vorfinden, lässt bei uns bisweilen den Eindruck entstehen, man hätte in der Vergangenheit nichts weiter getan, als sich zu Bekriegen oder am Fortschritt der Menschheit zu arbeiten.

Die Vergangenheit wirkt so trist und brutal - und dabei übersehen wir, wie lebensfroh und lustig die Menschen damals eben auch waren.

 

Die Ältesten auf uns gekommenen Beispiele für den Witz unserer Ahnen sind die Karrikaturen auf den antiken demarischen Reliefs, die seit der dritten Dynastie unterhalb jeder bedeutenden Inschrift die gezeigte Szene mit Tierfiguren nachstellen und lächerlich machen. Königinnen werden hier zu Schweinen, Untertanen zu Käfern oder Götter zu Eseln! Man hat das lange für Verschandelungen späterer Zeiten gehalten, denn kaum ein Gelehrter konnte sich vorstellen, warum die Demarer dies selbst hätten machen sollen. Erst die jüngere Forschung hat gezeigt, dass die Erschaffer der großartigen Reliefs diese „Verballhornungen“ selbst angefertigt hatten - welch lustige Interpretationen uns wohl entgangen sind, weil frühere Museumskuratoren diese „Verschandelungen“ haben entfernen lassen?

 

Natürlich kann man nur spekulieren, warum die Demarer diese Karrikaturen anbrachten. Allerdings scheinen die Demarer der Antike ein Volk gewesen zu sein, dass den Witz, besonders in Form von Hohn und Spott, sehr schätzte. In der 5. Dynastie schrieb eine gewisse Kavirit ein Werk namens „Das Brot der Gnade - Warum der Reiche den Armen nähren sollte“, seine wichtige Botschaft wird von zahlreichen lustig-spottenden Anekdoten begleitet, wie dieser hier:

 

"Bei der Bestattung kamen dreizehn Arbeiter ums Leben. Es wäre vielleicht keiner gewesen, wenn man [der Königin] Sitihurta gesottene Honigschweine untersagt hätte. Es waren aber 13, weil [die Sonnengöttin] Emura möchte, dass ihre Töchter so rund sind wie sie selbst."

 

Man könnte jetzt leicht denken, dass ein derartiges Werk, besonders wenn es Königin und Staatsgöttin spottet, von den Machthabern unterdrückt worden wäre. Doch die vielen erhaltenen Exemplare belegen seine Beliebtheit und in den Gräbern der Königinnen der 6. und sogar noch der 7. Dynastie wurden Exemplare dieses Buches gefunden!

Seit der 10. Dynastie lässt sich dasSi-ana-Theater nachweisen. Die Theaterstücke hatten so triviale Geschichten zu erzählen, dass zeitgenössiche echyrische Dramatiker über die Demarer berichten, sie hätte gar keine Form dramatischer Künste zu bieten. Die rein männlichen Schauspieler stellten auf der Bühne Geschichten dar, die leicht zu verstehen waren und einfach der Unterhaltung dienten. Dazu kam noch, dass einer oder mehrere der Darsteller sich in grotesker Weise als Frauen verkleideten, um ihre Ziele zu erreichen. Erhalten gebliebene Requisten bieten einen kleinen Einblick, können das Gelächter, dass sie verursacht haben mögen, aber nur erahnen lassen. In den meisten Geschichten scheint die Verkleidung dann auch zu einem grandiosen Scheitern geführt zu haben, welches wohl vom Publikum auch erwartet wurde.

 

Diese antike Slapstik-Travestie mag auf den ersten Blick seltsam oder belanglos wirken, doch entstand sie in einer Zeit, als die demarischen Männer immer mehr in die klassischen Frauenrollen (Beamtentum, Wissenschaft, etc.) drängten. So ist das oft als reines „Volkstheater“ abgetane Si-anaals ein Element der Krise zu sehen, in welcher die demarische Gesellschaft als Ganzes stand und die Botschaft der konservativen Eliten deutlich macht: Männer können niemals die Positionen einer Frau einnehmen.

 

Auch wenn sich die Dominanz der weiblichen Elite mit der Zeit lockerte, blieb das Si-anaanscheinend beliebt. Es gibt belastbare Beweise dafür, dass es selbst in der Dunklen Zeit noch Si-ana-Truppen gab. So verwundert es nicht, dass sich das Si-anawährend des Mittelalters zum Sinnar-Theater weiterentwickeln konnte, in der nicht mehr die groteskte Travestie und das grandiose Scheitern im Vordergrund standen, sondern die kunstvolle sarkastische Spitze gegen die Reichen und Mächtigen. Die Kunst des poltischen Witzes verbreitete sich über alle Grenzen, wenn auch in Phasen und Abwandlungen; so begegnet uns im arvelanischenSenaros eher ein dreister Narr und der edrusische Sinarrogleicht eher einem einfältigen Tölpel. Dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis Theaterveranstaltungen, die nur der Belustigung dienten und bisweilen herbe Kritik an den politischen oder gesellschaftlichen Zuständen übten, sich nahezu überall verbreiteten. Ihnen wurde nie die gelehrte Aufmerksamkeit in dem Maß geschenkt, wie dem „hohen Theater“, doch heute wäre das aus diesen Wurzeln entstandene Senasteonnicht mehr aus dem Leben wegzudecken. Auch muss darauf hingewiesen, dass im Bereich der Annastea die Travestie überlebt hat und diese zumindest in bestimmten Teilen der Welt einen bedeutenden Teil im Unterhaltungsgewerbe besitzt.

 

Wenn Sie also das nächste mal über drögen Geschichtsbüchern brüten, denken sie daran, dass das meiste, das uns heute noch lachen lässt, seine Wurzeln in unserer Vergangenheit hat!