Der Honigkrieg

oder: Wie die Feindschaft zwischen Alven und Verglingen begann

Es war einmal in dem Wald, der gleich hinter dem Feld des Bauern Vercin beginnt, der Alvenkönig Rond, der sich so sehr vor den Menschen und ihrer Habgier fürchtete, dass er seinem Volk auftrug die Bienenstöcke, die sein Volk seit alter Zeit hegte, abzunehmen und sie in einer Höhle zu verstecken. Rond beobachtete schadenfroh die Menschen und ihre entsetzten Blicke, als diese kamen um den Honig zu stehlen. In der Krone einer alten Eiche saß er und lachte und lachte. So wiederholte es sich Tag um Tag, für viele Tage. Bis die Menschen eines Tages nicht wiederkehrten. Und als sie an drei aufeinanderfolgenden Tagen nicht gekommen waren, um den Honig zu stehlen und Rond so viel gelacht hatte, dass sein Bauch schon ganz weh tat, da befahl er seinen Alven die Bienenstöcke wieder aus der Höhle zu tragen.

Doch als die Alven sich daran machten, die Bienenstöcke aus der Höhle zu tragen, stellten sie fest, dass sie leer waren. Kein Honig war darin zu finden. Erbost machte Rond die Menschen dafür verantwortlich und schickte seine Alven aus, die Milch im Menschendorf sauer zu machen, die Kleinkinder zu zwicken, so dass sie nicht zu schreien aufhörten und jeden Knoten zu lösen, den sie nur finden konnten.

Das machten die Alven für drei Tage. Während dieser Zeit sollten die Bienen, fleißig wie sie waren, neuen Honig gemacht haben. Doch als die Alven zurückkehrten, waren die Bienenstöcke wieder leer. Kein Honig war darin zu finden. Wieder dachte Rond, es seien Menschen gewesen. Doch konnte es kein Mensch gewesen sein. Keiner war in den Wald gegangen.

Rond zerbrach sich seinen kleinen Kopf und konnte doch keine Antwort finden. Also ließ er die Bienen weiter arbeiten und hieß seine Alven sich zu verstecken. Nach drei Tagen, als Rond und die Alven noch auf der Lauer lagen, kamen sieben Verglinge aus der Höhle hervor. Rond hatte solche Wesen noch nie gesehen. Sie waren größer als Alven, aber kleiner als Menschen. Und ihr spitzer Kopf erinnerte an die spitzen Mützen der Dorfältesten der Menschen. Sie gingen pfeifend zu den Bienenstöcken und machten sich daran, den Honig zu stehlen.

Da ließ Rond die Alven mit Nüssen und Stöckchen werfen und ein fürchterliches Geheul von sich geben, so dass erschrocken die sieben Verglinge in ihre Höhle flohen.

An diesem Tag feierten die Alven ein Fest mit Gesang und Tanz und Honig.

Doch am nächsten Tag kamen sieben mal sieben Verglinge aus der Höhle. Sie kamen mit Speeren und Steinen und als die Alven ihr Geheul anfingen und mit Nüssen und Stöckchen warfen, da warfen sie mit Steinen und Speeren. Und auf der Alvenlichtung entbrannte ein fürchterlicher Kampf. Der Kampf dauerte drei Tage und noch drei weitere, ohne das Alven oder Verglinge die Oberhand gewannen.

Als beide Seiten erschöpft eine Pause machten, ging Rond zum Verglingkönig Nidurin und sagte erbost: „Hör auf unseren Honig zu stehlen! Der Honig gehört den Alven!“ Da blickte Nidurin auf den Alvenkönig herab und sprach: „Du irrst dich, Spitzohr. Der Honig gehört den Verglingen. Ihr habt die Bienenstöcke gestohlen!“

Wütend ging der Kampf weiter. Drei Tage und noch drei weitere und wieder gewannen weder die Alven noch die Verglinge die Oberhand. Und als die beiden Völker wieder eine Pause einlegten, sahen Rond und Nidurin, dass die Menschen die Ablenkung der beiden Könige ausgenutzt hatten. Sie hatten die Honig gestohlen. Da sprach Rond: „Das ist die Schuld der Verglinge!“ „Das ist die Schuld der Alven!“, sprach Nidurin da.

So begann die Feindschaft zwischen den Alven und Verglingen, die bis heute andauert, und so kam es auch, dass die Menschen im Wald den Honig ernten können.


Bemerkungen

Bereits die antiken Chargyren erzählten von den Waldgeistern, den Alven, die seit dem Anbeginn der Zeit in den Wäldern Chargyriens lebten. Die Märchen späterer Zeiten machten aus ihnen die neckischen Beschützer des Waldes, die Holzfällern und Köhlern solange Streiche spielten, bis sie entnervt ihre Arbeit einstellten und den Wald wieder verließen. In dieser Tradition steht auch dieses Märchen, das erzählt, wie die Alven zum ersten Mal den Verglingen begegneten.

Die Alven und Verglinge der Chargyren beruhen im Übrigen auf bekannten Vorbildern. So entstand die Vorstellung von den Alven wohl durch die Beobachtung jener kleinen Affen, deren wissenschaftlicher Name auch heute noch "Alvis" lautet.; die Verglinge wiederum, scheinen auf die Beobachtungen der Höhlenmenschen zurückzugehen.