Eine MEsse für Sarkud

„Halte durch, mein verlorener Sohn, du wirst Frieden finden, wenn dein Werk getan ist.“

Mit diesen Worten legte der Priester Idir die Hand aufs Haupt und mit seiner Hand den Segen des einen Gottes. Idir erhob sich vor der Gemeinde: „Obwohl meine Augen sahen, war ich doch blind. Obwohl mein Geist klar war, war ich doch wahnsinnig.“

 

Die Gemeinde antwortete ihm mit einem von den Mauern widerhallenden „Halte durch verlorener Sohn!“ Einige hatten Tränen in den Augen, ergriffen von der Heiligkeit dieses Moments. Andere erinnerten die Verheißungen, die der eine Gott ihren Ahnen gegeben hatte. Aus Idir heraus strahlten zu gleichen Teilen Glauben, Überzeugung und auch Stolz.

 

„Heda!“, die Tür schlug mit einem kraftvollen Schwung auf und die kalte Winterluft vertrieb den sakralen Duft des Räucherwerks. „Ihr solltet schon vor einer Stunde hier raus sein!“ Die Blicke der Gemeinde richteten sich beinahe gleichzeitig auf den Mann in der Tür. Einen feisten, schmutzigen Mann. In Idirs Augen blitzte Zorn. „Hatte doch gesagt, dass ich am Abend eine Lieferung erwarte. Die Männer müssen jetzt langsam anfangen das Zeug hier einzuladen. War doch schon großzügig genug von mir, dass ihr noch ein Bisschen hier bleiben durftet - hattet ja eigentlich das Lagerhaus nur für gestern von mir gemietet!“

 

Während ein anerkennendes, aber doch resignierendes Seufzen durch die Menge ging und der Priester seinen Helfern mit einem Blick bedeutete, die heiligen Reliquien zusammenzupacken, stürzte sich Idir nach vorne. Durch die Gruppe seiner Glaubensbrüder auf den Lagerhausbesitzer zu. Er packte ihn an der schwabbeligen Gurgel: „Du wagst es die Heiligkeit dieser Zeremonie zu stören!“ Der Mann röchelte. Rasch waren andere Gemeindemitglieder heran gekommen. Sie befreiten den Lagerhausbesitzer aus Idirs Griff. Hielten den wütend fluchenden, zappelnden Idir fest. Als er einfach nicht aufhören wollte, bekam er einen Schlag gegen den Kopf.

 

Benommen konnte er nichts mehr tun, war nicht mehr Akteur in den Ereignissen, nur noch Beobachter. Betrachter einzelner Bilder. Während seine Glaubensbrüder ihn wegbrachten, sah er den Priester sich entschuldigen. Sah wie heilige Reliquien schnell eingehüllt wurden, bevor schäbige Ungläubige große Kisten an den vormals noch durch ihre Präsenz geheiligten Ort stapelten. Sah wie ein kleiner Junge zum Lagerhausbesitzer rannte, der ihn umarmte. Ihn tröstete.

 

„Papa! Papa! Der böse Mann hat dir weh getan!“

„Schon gut, Kalyos, mir ist nichts passiert. Der war nur ein bisschen sauer.“, der Lagerhausbesitzer lächelte.

Der Junge blickte dem Tross der Gläubigen nach, die ihre Sachen auf Wagen verstauten und dann in einer Kolonne in Richtung des nahen Stadtttores fuhren.

„Was waren das für Leute, Papa?“

„Das sind Sarkleute, Kalyos. Die verlorenen Söhne und Töchter der Stadt Sanot.“

„Warum fahren sie weg? Wo wollen sie hin?“

„Das wissen nur sie selbst. Die Sarkleute haben kein Zuhause, sie dürfen keines haben. Sie haben ihren Gott erzürnt und er hat ihnen die Stadt Sanot genommen. Sie werden erst wieder ein Zuhause haben, wenn sie sich mit ihrem Gott versöhnt haben.“

„Und wann ist das?“

„Wer weiß, Kalyos, wer weiß“

...