Was ist der Sinn des Lebens? – Der Sinn des Lebens ist die Wiedervereinigung der Seele mit dem Göttlichen.
Was erwartet mich nach dem Tod? – Die Einheit mit dem Göttlichen.
Zu wem bete ich? – Ich muss nicht beten, aber ich kann mich an Göttern orientieren.
Wie stets mit der Magie? – Die Magie ist Ausdruck meiner Erkenntnis
Die Asiranisten bezeichnen Palor Sicator in den polemischen Schriften des Mittealters als falschen Gott oder manchmal als verderbten Propheten. Bis heute existieren wüste Etymologien, die in ihm einen „Siegreichen Sonnengott“ sehen wollen. Ja, „Sicator“, ist iderusisch und bedeutet „Sieger“, aber um aus „Palor“ eine Bezeichnung für die Sonne zu machen, erfordert schon Kreativität und geht vermutlich auf das von einem Strahlkranz umgebene Auge (das Anavirentia, „die Einsicht“, genannt wird) zurück.
Palor war ein Mann aus Grimoja, im iderusischen Padicalia. Seine genauen Lebensdaten sind unbekannt, doch sicher ist, dass er im 1. Jahrhundert nach der Katastrophe lebte, einer Zeit des Zusammenbruchs und Chaos. „Sicator“, da ist sich die Forschung heute sicher, war nicht mehr als der Name seiner Familie, die auf den freigelassenen Sklaven und Arenakämpfer Sarvius zurückgeht, den man aufgrund seiner zahlreichen Siege „Sicator“, „den Sieger“, nannte. Ob Palor ein einfacher Bauarbeiter oder doch ein Steinmetz war, konnte die Wissenschaft bis heute nicht klären; als gesichert gilt nur, dass er im Umfeld dieser Zunft aufwuchs und arbeitete. Wie die meisten Iderusen seiner Zeit betete er noch zu den klassischen Göttern, nahm an ihrem Tempelkult teil und brachte Opfer, um sich ihre Gunst zu sichern. Doch wurde der alte Götterglaube in jener Zeit immer wieder durch die Ereignisse erschüttert und Palor begann zu zweifeln und nach neuen Antworten auf seine Fragen zu suchen. Schließlich zog er sich für einige Jahre in die Askese zurück und fand in seiner Abgeschiedenheit, so besagt die Überlieferung, das Göttliche.
Palor Sicator verkündete, dass jenseits aller menschlicher Wahrnehmung das Göttliche (Aiseritas) sei. Der Urgrund allen, was ist; das Absolute, von dem alles ausgeht. Das Göttliche sei nicht näher beschreibbar, doch der Mensch, der mehr als nur Materie sei, habe einen Anteil daran.
Das Göttliche sei dermaßen kraftvoll und mächtig, dass es aus sich selbst herausströmt und für das Viele in der Welt sorge, wodurch alles auf der Welt ein Teil des Göttlichen sei, aus dem es entstand. Die materielle Welt, als Ausdruck höchster Vielfalt, entstünde aus dem Göttlichen durch den Einfluss der Sirani (Sg. Siranum, „das Bild“, hier im Sinne eines Leitbildes oder einer Idee), die den Menschen als individuelle Gottheiten erscheinen, da sie sich einerseits dem menschlichen Verständnis entziehen, aber nicht so unsagbar und unbeschreiblich seien, wie das Göttliche selbst. Allerdings reiht Sicator in den Rang der Sirani nicht nur jene Götter ein, die von den Menschen schon immer als solche verstanden wurden, sondern auch ganz explizit die Altvorderen, die ebenso wie die „guten Götter“ für die „guten Erscheinungen der Materie“ als die „schlechten Götter“ für die schädlichen und „schlechten Erscheinungen der Materie“ stünden, letztlich aber auch nur Auswüchse des Göttlichen seien. Die Verderbnis sei also ebenso natürlich und göttlich, wie die Reinheit – ein verwegener Gedanke, der jene, die ihn äußerten zuvor wohl immer in den Rang eines altvorderen Kultisten zog, zur Sicators Zeiten dem Schrecken der um sich greifenden Verderbnis aber ein wenig vom Schrecken nahm und einen Funken Ordnung ins chaotische Dunkel trug.
Das Göttliche strömt aus sich heraus und wird durch die Sirani ins Wahrnehmbare überführt. Doch alles Wahrnehmbare ist nur ein makelhaftes Abbild der Sirani, denn ein Teil des Göttlichen entzieht sich auch in der Materie noch immer der Wahrnemung. Dieser unerkennbare Teil ist die Seele, die jeder Materie innewohnt. Diese Seele strebt danach, die unvollkommene materielle Form (Pegurum) zu verlassen und sich wieder mit dem Göttlichen, ihrem Urgrund, zu vereinen. Von den materiellen Verstrickungen kann sie sich nur vollends lösen, indem sie sich von den körperlichen Bedürfnissen und seelischem Verlangen abwendet und sich selbst zuwendet. Die Zuwendung zu sich, bedeutet gleichsam die Zuwendung zum Göttlichen.
Aus diesem Streben der Seele entsteht auch das, was der Mensch als Vergehen wahrnimmt. Denn um zum Göttlichen zu gelangen, muss die Seele das Denken hinter sich lassen, da sich das Göttliche selbst der Sprache und dem Denken entzieht, und somit aus sich heraustreten (Asetia, das Heraustreten). Erst in der Vereinigung (Tamiatitas) mit dem Göttlichen erfüllt sich für die Seele die Sehnsucht nach dem Nicht-mehr-Denken (Hifondita).
Der Mensch sollte dem Streben seiner Seele nachgeben und nach der Vereinigung mit dem Göttlichen streben; denn sonst bleibt seine Seele im Materiellen gefangen und wird in neuer Form wiedergeboren (Ceffardantia ~ „Kreislauf der Wiedergeburt“).
Das Tamiaturum („die Gemeinschaft“, wie sich die Anhänger der Religion selbst bezeichnen; Einzahl „Tamitor“ (m) bzw. „Tamitrix“ (w), „Anhänger“) besteht aus den Cuertatores („Lehrern“), den Ucitores („Schülern“) und den Asetores („Asketen“).
Den Kern der Gemeinschaft bilden eigentlich Lehrer und Schüler.
Die Cuertatores sind die Priester der Religion, ihnen obliegt zwar auch die Verbreitung der Lehre Sicators und die Unterweisung der Menschen darin, jedoch auch das Streben danach, neue Wege offenzulegen, durch welche die menschliche Seele sich aus der Materie lösen kann. Organisiert sind die Cuertatores in Orden (Ramenta, Sg. Ramentum), die ursprünglich auf Sicator selbst, oder seine direkten Schüler zurückgehen. Die Orden haben sich im Lauf der Jahrhunderte auf bestimmte Wege zur Hifondita spezialisiert und unterscheiden sich teilweise in bestimmten Sicht- und Denkweisen; ihr Wettstreit miteinander wird jedoch in der Regel als theologischer Diskurs verstanden und wurde in der Vergangenheit nur selten kriegerisch ausgetragen. Ein Cuertator legt zwar ein Gelübde ab, wenn er einem Orden beitritt, tut dies jedoch nur auf Zeit und niemals lebenslänglich. So kommt es auch häufig vor, dass jemand während seines Lebens Cuertator in verschiedenen Orden wird.
Die Ucitores sind die „einfachen Anhänger“, die sich zur Lehre Sicators bekannt haben und sich gemäß ihren Möglichkeiten darum bemühen, die Hifondita zu erreichen, aber sich nicht gänzlich dem Studium hingegeben haben. Sie bilden die Mehrheit der Gläubigen und es gilt für sie als förderlich, die Cuertatores und Asetores mit Spenden zu unterstützen, schließlich ist auch Besitz letztlich eine materielle Verstrickung.
Die Asetores sind zurückgezogene Asketen, die ihr Leben ganz dem Streben nach Hifondita verschrieben haben. Sie leben allein oder in kleinen Gemeinschaften und betreiben Meditationen. Einzelne Asetores haben auch immer wieder eine Anhängerschaft aus Ucitores oder gar Cuertatores um sich, da sich der Glaube hält, dass, wenn die Seele eines Asetors die Hifondita erreicht, ihr Sog stark genug sei auch die Seelen anderer mit zum Göttlichen zu reißen.
Der Palor-Sicator-Glaube ist durchdrungen von Mysterien (Custula), kultischen Feiern mit einem geheimen Kern, der nur Eingeweihten offenbart wird. Diese Mysterien sollen den Menschen in Streben zur Hifondita begleiten. Sie werden von den Cuertatores geleitet, stehen aber nur Gläubigen offen, die einen bestimmten Weihegrad (Vatitium) erreicht haben. Das Vatitium wird durch bestimmte Mysterien erhöht und über die Zahl der Weihegrade herrschen seit Jahrhunderten wilde Spekulationen: Während man häufig von 3, 7 oder 9 Vatitia liest, heißt es gerade in polemischen Schriften es seien 17 (die Zahl der Altvorderen). Offiziell kennt man heute 12 Vatitia, doch die Gerüchte es gäbe noch weitere, offiziell verschwiegene Grade, reißen nicht ab.
Trotz der universitären Magielehre ist in den vom Sicator-Glaube dominierten Ländern (Symria, Nimura, Cultulien und Veldria) die magische Lehre eng mit den sicatorischen Weihegraden verbunden; so dass bestimmtes Wissen für niedere Grade verboten ist.