Auszüge aus "Unbeschreibliche Kulte: Das Handbuch geheimer und verbotener Kulte, Organisationen und Gesellschaften" von Villem Juns (1937)
Unter den Leuten von Mynastaimis war seit ältester Zeit ein seltsamer Kult des Asaidon verbreitet. Wie bei den Echyren üblich, verehrten die Mynastaimer zwar einen Meeresgott dieses Namens, doch alte Quellen zeugen von dem „Flutopfer“: Einmal im Jahr, im Frühjahr, bevor die Zeit der Stürme endete, brachten sie sieben Menschen bei Niedrigwasser in die Bucht vor dem Ort, banden sie an Pfähle und ritzten in ihre Haut Segenssprüche und Wünsche. Die armen Seelen wurden von der folgenden Flut ertränkt und im Glauben der Mynastaimer an Asaidon übergeben. Wählten die Mynastaimer ihre Opfer meist unter den Bewohnern des Ortes aus, konnten auch Reisende, die zur falschen Zeit im Ort ankamen zu Opfern werden.
Der Kult konnte Jahrhunderte fortbestehen, bis das Treiben der Mynastaimer durch die Fischerehebung und deren Niederschlagung durch die arrovelosianischen Truppen beendet wurde. Doch noch heute kommt es vor, dass bei Ebbe an manchen Tagen des Frühjahrs ertränkte Personen gesichtet werden.
In der späten Klassik war der Alchemistenzirkel von Kyphochalide über die Grenzen Isthions berühmt. Er galt als die Instanz alchemistischer Ausbildung und Forschung, seine Angehörigen als die Elite. Doch obwohl sich der Zirkel offiziell in der Tradition des berühmten Gerion Zalmatos von Nexos stand, existierte ein innerer Zirkel, der die Wege der Zalmatik verlassen und dem Formlosen Former folgte. Um in diesen inneren Zirkel aufgenommen zu werden, mussten die Aspiranten ihren eigenen Leib verformen, wofür sie oft Experimente an Tieren oder ahnungslosen menschlichen Opfern durchführten. Das Treiben dieses inneren Kreises wurde erst offenbar, als nach einer Explosion in der Akademie die herbeigeeilten Helfer auf eine Kammer stießen, in der ein grauenhafter Götze stand: Eine Gestalt, die in ihrer Form Züge von Menschen und diversen Tieren in sich vereinte.
Im antiken Gunubien galten die dreihundert Krieger des Roten Korps als Elite des Reiches und standen im höchsten Ansehen. Doch die Elitekrieger der Schmiedefürsten besaßen ein finsteres Geheimnis: Sie verehrten den Altvorderen Chamek, dessen zerstörerische Kraft sie vor jedem Kampf herbeiriefen. Diese finstere Magie machte sie zu unüberwindbaren Kriegern, doch veranlasste sie auch nach einer gewonnenen Schlacht die Leichen der überwundenen Gegner zu verstümmeln, sich mit ihrem Blut zu bestreichen und manchen Berichten nach sogar dazu, die bezwungenen Gegner zu verspeisen. In ihrem altvorderen Rausch waren sie unbarmherzig und machten keine Gefangenen – wer sich ihnen ergab, wurde bei lebendigem Leib ausgeweidet und auf Altären aus Gefallen dem Chamek geopfert.
Die Schmiedefürsten gerieten mit der Zeit immer mehr in die Abhängigkeit des Roten Korps, bis sie nur noch Marionetten der Chamekanhänger waren. Somit war es erst der Fall Gunub Zuls, der dem Treiben des Roten Korps ein Ende bereitete.
Unter den Talyrosthermen von Arros gab es einen geheimen Raum, dessen nicht euklidische Formen seinen wahren Ursprung verrieten. Dort befand sich ein Badebecken, dass durch ein bestimmtes Ritual zu einem Jungbrunnen werden konnte, wenn die Sterne richtig standen. Obwohl dieser Ort viel älter war, bildete sich in der ausgehenden Klassik eine geheime Gesellschaft, die zu den rechten Zeiten opulente Empfänge in den Thermen gab, um aus den Gästen eine Reihe von Opfern zu wählen, deren Lebenszeit sie durch das Ritual stehlen konnten, um sich selbst zu verjüngen. Man weiß nicht viel über diese geheime Gesellschaft, die selbst nie komplett ergriffen werden konnte und deren Ende nach der Zerstörung des Jungbrunnens unter der Therme nur angenommen wurde. Man kann also nur hoffen, dass die Gesellschaft selbst keinen neuen Jungbrunnen errichten konnte.
Im Palast der Drei Königinnen von Nemur wurde bei Ausgrabungen in einem abgelegenen Winkel die Statue eines dämonenartigen Geschöpfs gefunden, in dessen Schlund dutzende mumifizierte Zungen aufgefunden wurden. Die Archäologen können den Sinn und Zweck dieses Götzen bis heute nicht genau erklären, aber möglicherweise lässt es sich durch eine Passage des Atha Thog erklären: „So gib dem Stillen Rufer deine Zunge, auf dass er dir seine gibt: Die wahre Lüge“
Es ist erstaunlich, dass es weltweit und aus allen Zeiten Berichte über ähnliche Kulte gibt, die an Vulkanen Menschenopfer darbrachten. Es gilt als erwiesen, dass die Anhänger der Lebenden Flamme Igharnath hinter diesen Kulten steckten, auch wenn sie immer wieder die Gestalt etablierter Feuerkulte nachahmten.
Am arvelischen Königshof gab es während der Renaissance angeblich einen geheimen Zirkel von Adligen, der sich in einer kleinen Kammer traf. Es heißt beim gemeinsamen Genuss menschlichen Blutes festigten sie ihre Bande und besprachen die Politik, die sie dem schwachen arvelischen König aufzwangen. Auch wenn die Magiererhebung ihrem Treiben zusammen mit dem König ein Ende bereitete, gab es auch danach immer wieder Berichte über „das Kämmerchen“ und bis heute werden Verschwörungstheorien befeuert, die das Kämmerchen als geheime Weltregierung betrachten.
Unter den Arbaren gibt es seit ältester Zeit die Vorstellung von weißhaarigen, zaubermächtigen Frauen, die in den Wäldern hausen, Kinder stehlen und die Gemeinschaften mit Flüchen quälen. Die Wîtrasbâ gehen vermutlich auf einen Frauenkult zurück, wie jene der sturma Muder, doch verschrieben sie sich, je nachdem welchen Berichten man Glauben schenken mag, entweder dem Murdinas oder dem Nivin Oter. Einige Berichte erzählen, dass die Wîtrasben Kinder entführten, um ihre Seelen der Neidelster anzubieten, um von ihm in der Kunst der Zauberei unterwiesen zu werden. Doch andere Berichte erzählen, dass sie Menschenopfer darbrachten, um den grausamen Schneevater davon abzuhalten, die Welt mit Frost und Eis zu überziehen. Möglicherweise haben beide Kultformen existiert und die Wîtrasbenwaren nur eine verbrämte Erklärung für kultische Geheimbünde von Frauen. Vielleicht waren sie auch nur eine Erklärung für im Wald verschwundene Kinder – doch eines steht fest, die Angst der Arbaren vor den Witrasben überlebte die Asiranisierungund wirkt bis weit in die Jetztzeit nach.
An einer Steilklippe der Otes Albenabefindet sich ein Kloster von dem niemand weiß, welcher Gottheit oder Philosophie sich die Erbauer einst in dieser Einsamkeit verschrieben hatten. Der Weg dorthin ist so beschwerlich und unüblickbar, dass kaum jemand ihn je unabsichtlich beschritt und selbst viele jener, die in staubigen Schriften von ihm gelesen hatten, ihn fanden.
Und solch staubige Schriften sind es auch, die von Jenenberichten, die im Mittelalter das Kloster zu ihrem Heim erklärten. Es heißt, dass Jene die Einsamkeit suchten, da sie die Freuden des Lebens verabscheuten und Ballast in ihm Lachen sahen. Jede Nacht blickten jene in den Himmel und suchten die Erfüllung des Seins in der Leere zwischen den Sternen. Doch heißt es, das Heulen des Windes und die freudlose Einsamkeit trieben viele Jener, die nach Erfüllung trachteten, in die Verzweiflung, so dass sie sich aus den Fenstern des Klosters in den scheinbar leeren Abgrund am Fuße der Steilklippe stürzten.
Das alte Erseva war weit gerühmt für seine Ärzte und den Stand der Medizin. Die Tempel des rattengestaltigen Aspharim waren der Hort dieses Wissens und Vorbild für Krankenhäuser späterer Zeiten. Doch als die Asiranisierung sich im Volk ausbreitete verloren die Rattenmasken der Priester an Bedeutung und während die alten Medizintempel zu Krankenhäusern wurden, pflegten viele Ärzte aus den Reihen der alten Aspharimpriesterschaft ihren Rattenkult im Geheimen. Doch die geheimen Kulte waren ein leichtes Opfer für die Unterwanderung dunklerer Gestalten und so geschah es immer wieder, dass sich kleine Geheimkulte dem Nagenden Verderben verschrieben und die, die in der Öffentlichkeit Heilung brachten, im Geheimen Ratten mit Krankheiten belegten, um Siechen und Verderben über die Städte zu bringen. Es waren jene verkommenen Rattenzüchter, die den Ruf der Ratte als Heilsbringer maßgeblich und auf Jahrhunderte zerstörten, die dafür sorgten, dass die Menschen Katzen in ihren Städten willkommen hießen und so den großen Pestwellen der Dunklen Zeit Haus und Hof öffneten.
In den Straßen hallte schon immer das Blubbern der Wasserpfeifen und wehte der süßliche Geruch ihres Rauches, doch im frühen Industriezeitalter brachten einige Forschungsreisende diese Wasserpfeifen nach Talanta – doch in ihrem Gepäck brachten sie neben Pfeifen und Tabak auch esoterische Schriften mit in die nordische Heimat. Bei ihren Rauchabenden lasen die Pfeifenbrüder im Atla Thog und begannen den Tabak mit Rauschmittel zu füllen, um in ihren Träumen nach dem Ruhelosen Wanderer zu suchen. Alte Zeitungsberichte erzählen wie man ihre Leichen in dem kleinen fensterlosen Raum nach Tagen auffand, doch es sind die Alpträume der Talanter die seit jener Zeit die Pfeifenbrüder berühmt machten. Denn immer wieder wird berichtet, wie Bewohner der Stadt den Gelehrten in ihren Träumen begegneten, selbst als bereits Jahrzehnte vergangen waren …
In der Zeit als Massenverderbniswaffen den Fortbestand der Menschheit gefährdeten und jeder Blick in die Tagespresse die Zerbrechlichkeit des Lebens vorführte, suchten viele in orgiastischen Exzessen nach Ablenkung. An verschiedenen Orten traten Gruppen in Erscheinung, die in der Kaditha eine Ausweg erkannt hatten. Sie fügten sich und anderen Schmerz zu und ergötzten sich daran, fanden Befriedigung und Erfüllung im Leid. Doch die Peiniger beschritten schnell Wege, die über das akzeptierte, lustvolle Maß an Schmerz hinausgingen. Sie suchten sich Opfer, die nicht einwilligen wollten, und quälten sie grausam zu Tode. Unter dem Deckmantel des Lustschmerzes wurden sie zu Serienmördern. Obgleich die Polizei versuchte ihrem Treiben ein Ende zu bereiten, konnten sie niemals aller habhaft werden. Noch heute treten die Peiniger hier und da in grausame Erscheinung und finden immer noch neue Anhänger, obwohl selbst in Schulen vor diesen Anhängern des Altvorderen Sinth gewarnt wird.