Iderusa - Adelsrepublik oder Theokratie?

(Auszug aus einer Einführungsvorlesung von Neandras Phelis, gehalten an der Universität Mir, 1975)

Sie werden in der populären Literatur immer wieder die Erklärung finden, dass es sich beim klassischen Iderusichen Reich um eine Adelsrepublik gehandelt habe. Verabschieden Sie sich von derart einfachen Erklärungen, die aufgrund ihrer Einfachheit nur falsch sein müssen. Die Autoren, die so etwas behaupten, wenden eine Denkungsart auf das Iderusische an, die diesem kaum gerecht wird; nämlich eine Echyrische. Wenn dort Religion höchstens das Beiwerk jeglicher politischen Beschäftigung war, so muss das doch bei den Iderusen ebenso gewesen sein, nicht wahr?

 

Lange bevor die arrovelosianischen Gesetze ersonnen und niedergeschrieben worden waren, hatten die Iderusen ein niedergeschriebenes Recht, dessen Gesetze auf jedem Taconum auf steinernen Tafeln einsehbar waren und auf die sich jeder Bürger berufen konnte. Die Iderusen haben einen ganzen Haufen Rechtsliteratur, Gesetze, Fallakten, Traktate auf uns kommen lassen. Seien wir nicht so, wie jene Autoren, die das einfach ignorieren, sondern lassen die alten Iderusen mit ihren eigenen Worten sprechen:

 

MENUTES ORNES OB AISERES LAUDANT CITIAS SEINO ERRAE DRUNARE PORMUNT EQUAE RAIGURIUM LERONT

 

Das heißt: „Alles Recht stammt von den Göttern, folglich können nur jene herrschen, die das RAIGURIUM besitzen.“

 

Was ist dieses „RAIGURIUM“ nun also? Es bezeichnet die Fähigkeit und das Recht, den Willen der Götter sowohl zu erfragen, als auch zu interpretieren. Lassen sie sich von der populärliterarischen Schwachsinnsetymologie, es sei von RAIUS und einem angenommen von GUSORE abstammen „GURIUM“, nicht täuschen – das sind irgendwelche wollüstigen Gedanken, die ein Haufen Schreibtischmänner an eine ursprünglich rein weibliche Herrscherinnengruppe stellen.

 

Das RAIGURIUM ist die juristische Definition dessen, was die Priesterinnen der Antike von ihren Mitmenschen unterschied. Erst spät wurde diese Eigenschaft auch den männlichen Mitgliedern der Priesterinnenfamilien zugestanden. Doch selbst zu diesem Zeitpunkt, kam es keinem Iderusen in den Sinn, dass dieses RAIGURIUM außerhalb der alten Priesterklans auftreten könne.

 

Es war Voraussetzung für alle politischen Ämter des Reiches, von den einfachsten Provinzialbeamten, bis hin zu den URSATRICES des Bundes. Die Macht, die Herrschaft, lag in den Händen der Priester und ihr wichtigstes Gremium der Gesetzgebung hieß auch wörtlich CIPETORIUM RITATUM CEPENARUM – die Zusammenkunft der Ältesten der Priesterschaft!

 

Es waren also nicht Adlige, sondern Priester, die Iderusa lenkten, auch wenn manche Posten durch Mitwirkung des gemeinen Volkes gewählt wurden. Auch der Titel URSATRIX, den wir seit Jahrhunderten ignorant mit „Königin“ übersetzen (übrigens wider besseren Wissens, denn wir wissen sehr wohl, das König bzw. Königin ORX genannt wurde), deutet auf die alte priesterliche Macht hin: Ist es doch nur eine Lautwandlung von der URSETRIX, der Schafshirtin, entfernt (und ihr Amtszepter erinnert eindeutig an den Hirtenstab). Die URSATRIX, darauf deuten manche uralte Schriften hin, war eine „Hirtin“ im religiösen Sinne, die Fürsorgepflicht gegenüber ihren „Schafen“, ihrer Gemeinde hatte.

 

Dass die alten Iderusen ihre Tage in TELLISTI, HITTELISTI und QUALICLEVI ordneten, hatte also nichts mit irgendeinem Aberglauben zu tun. Diese Einteilung entstammte der religiösen Praxis der Staatsdiener, denn wer den Götterkult betreibt, der kann an bestimmten Tagen keine Amtsgeschäfte führen (HITTELISTI, QUALICLEVI) und manche Amtsgeschäfte kann er nur an Tagen führen, an denen die Götter ihm dafür die Erlaubnis geben (TELLISTI).

 

Sie sehen, dass es sich beim klassischen Iderusa nicht um eine Adelsrepublik handeln kann, sondern um eine Form der Theokratie. Dass sich die URSATRICES und andere Beamte nicht als Abkömmlinge der Götter verstanden und sich teilweise auch von nicht priesterlichen Bürgern wählen ließen, sind die einzigen Details, die diese Theokratie von jener der Gottköniginnen Demars oder den Gottessöhnen Midenis unterscheidet.